Ehe für alle 3.9.21
«Darauf haben wir lange gewartet. Engagieren wir uns!»

Die Herausforderung lautet: die Eher-Nein-Sagerinnen und die Eher-Ja-Sager zu überzeugen, am 26. September wirklich Ja zur Ehe für alle in die Urne zu legen. Daniel Stolz spricht über die Kampagne und darüber, war noch getan werden muss, damit das Ziel erreicht werden kann.
Daniel, bist du mit dem Verlauf der Abstimmungskampagne zufrieden?
Ja, der Auftakt am 27. Juni und noch mehr der Relaunch am 14. August ist geglückt. Beide Events dienten vor allem auch der Mobilisierung unserer Freiwilligen, ohne die wir keine Kampagne erfolgreich durchführen können. Und es kamen viele! Das war schon schön zu sehen – auch die Vielfältigkeit. Aber Selbstzufriedenheit ist unangebracht. Wir stehen am Anfang der heissen Phase und der Kampf hat erst begonnen. Jetzt heisst es: Finger rausnehmen und vorwärts machen.
Sind die Gegner*innen der Ehe für alle tatsächlich bei den älteren Generationen zu finden oder ist das ein Klischee? Gibt es zum Beispiel keinen Stadt-Land-, Rösti- oder sonst einen Graben?
Die erste Umfrage zeigte tatsächlich, dass die Vorbehalte in den älteren Generationen, vor allem bei den Männern, weiterverbreitet waren. Dies erstaunt nicht wirklich. Das sind Prägungen aus der Vergangenheit. Aber dank unserem Einsatz, lassen sich sicher auch bei den älteren Generationen noch viele «eher Nein» und vielleicht sogar «Nein» überzeugen. Es liegt an uns, das Gespräch zu suchen. Was auch sehr gut funktioniert ist der Peer-Ansatz. Also von gleich zu gleich. Sprich: Eltern von LGBT-Menschen kommen in ihrer Altersgruppe besser an als junge. Der Stadt-Land Graben ist nicht so ausgeprägt wie der zwischen den Generationen.
Die Umfrageresultate sagen eigentlich ein klares Ja für die Ehe für alle voraus. Hat man zu «übermotiviert» auf das Referendum einer kleinen, konservativen Minderheit reagiert?
Nein, ganz im Gegenteil. Gingen wir alle nicht von mehr als 56 Prozent klar Ja aus? Zudem lehrt die politische Erfahrung, dass die Zustimmung zu Vorlagen im Laufe einer Kampagne eher bröckelt. Also ziehen wir in den Kampf, damit wir am 26. September keine unliebsame Überraschung erleben. Es ist in unserer Hand. Wir sind verantwortlich!
Wie bringt man denn die «Eher-Ja-Sagerinnen» und die «Eher-Nein-Sager» dazu, am 26. September ein Ja einzulegen?
Am besten ist das persönliche Gespräch aber auch Briefe und Postkarten sind wertvoll. Dazu braucht man Argumente. Und von denen haben wir nicht nur ganz viele, sondern sie stechen auch. Die urschweizerischen Werte wie Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Freiheit sprechen ebenfalls dafür. Gleiches soll gleichbehandelt werden. Dann schützt die Ehe für alle Kinder in Regenbogenfamilien besser und verbessert ihre juristische Lage, wenn es Probleme gibt. Die erleichterte Einbürgerung unserer Ehepartner*innen ist natürlich auch ein Fortschritt.
Und nicht zuletzt ist es ein Signal: ein Signal uns, unsere Liebe, unsere Partnerschaften ernst zu nehmen. Das tut LGBT-Menschen gut. Das zeigt sich daran, dass die Selbstmordrate von jungen Lesben und Schwulen in Ländern, die die Ehe für alle eingeführt haben, zurückgeht. Und dann gibt es noch viel, viel mehr. Auf der Webseite www.ehefueralle.ch sind sie alle aufgelistet.
Was erwartest du von der Community?
Dass sie sich engagiert. Wir haben lange darauf gewartet und uns beschwert, dass es so lange dauerte und jetzt ist es soweit: Engagieren wir uns! Suchen wir das Gespräch und bitte nicht «nur» unter uns, sondern mit dem (älteren) Nachbarn und der (älteren) Kollegin.
Auch Leserbriefe schreiben, Postkarten versenden – bei beidem unternimmt Network noch zusätzliche Anstrengungen – sind sehr wirkungsvoll. Standaktionen genauso. So eine Kampagne kostet auch viel Geld. Wir müssen noch Plakate auch auf dem Land, E-Boards etc. etc. finanzieren. Spenden sind also willkommen. Und allen die schon direkt oder über Network gespendet haben: ein herzliches Merci. Auch die Grossspender*innen!
Stehen eigentlich weitere Community-Anliegen auf der politischen Agenda oder wird mit der Ehe für alle für den Moment alles erreicht sein?
Es gibt noch genug zu tun. Ich nenne als Stichworte beispielsweise die Hate Crimes oder Konversionstherapien. Zudem ist die gesetzliche Gleichberechtigung «nur» ein Teil unserer Realität. Aufklärungsarbeit wird auch danach nötig sein. Zudem gäbe es die Möglichkeit, dass wir uns zum Beispiel für Schwule einsetzen, denen es schlechter geht als uns. Gerade wurde Kabul von den Taliban eingenommen. Ich mag mir nicht ausmalen…
Aber wir müssen gar nicht so weit gehen. Russland und Polen ist auch ein Engagement wert. Dort ist ja Network bereits aktiv. Auch bei tschetschenischen Flüchtlingen haben wir schon Nothilfe geleistet. Das ist super und zeichnet uns Networker aus. Aber wir könnten noch mehr tun! Darüber wird bestimmt auch an der kommenden Retraite diskutiert.
Zum Schluss: Deine Prognose für den 26. September?
Ein 60 Prozent plus wäre gut. 70 Prozent plus wäre super. Ich befürchte es wird knapper.
Interview: Michel Bossart