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Palliative Care 4.5.16

Den LGBTI-Patienten gerecht werden

«Für Menschen
«Für Menschen

Die Palliative Care ist darauf ausgerichtet, die Lebensqualität von chronisch und unheilbar Kranken zu verbessern. Dabei erfordert gerade die Betreuung von LGBTI-Patientinnen und Patienten oftmals zusätzliches Wissen und Feingefühl.

«Viele denken, bei der Palliative Care gehe es nur darum, kranken Menschen die Hand zu halten und Morphin zu verabreichen», sagt Networker Piotr Sobanski. «Es steckt aber sehr viel mehr dahinter.» Dies zeigte der Ärztliche Leiter des Basler Palliativzentrums Hildegard in einem Referat auf, das er am 18. April im Rahmen eines Networkanlasses der Regionalgruppe Basel hielt. «Rund 20 Networker nahmen an der Veranstaltung teil», so Piotr. «Für mich war es ein sehr berührender Abend.»

Ganzheitlicher Ansatz

Unter Palliative Care ist laut Piotr zum einen die Betreuung und Behandlung von Menschen in fortgeschrittenen Stadien chronischer oder unheilbarer Krankheiten zu verstehen. Ziel ist es, die Lebensqualität der Kranken zu erhalten oder zu verbessern, und zwar unabhängig von Diagnose und Prognose. So werden häufig solche Personen palliativ behandelt, die beispielsweise wegen Herzinsuffizienzen oder Lungenerkrankungen an Schmerzen leiden, oder auch Menschen, die an Krebs oder AIDS erkrankt sind. Zum anderen legt die Palliative Care auch einen Fokus auf die Angehörigen der kranken Person. «Es handelt sich um eine medizinische Fachrichtung, die nebst der körperlichen auch die psychologische, seelische und soziale Dimension umfasst», sagt Piotr.

Schamgefühl und Verleugnungsdruck

Dabei bringen gerade die Lebensrealitäten von LGBTI-Menschen oft Besonderheiten mit sich, denen im Umgang mit den Betroffenen spezielle Beachtung geschenkt werden muss. Bei Transpersonen könne zum Beispiel im Zusammenhang mit der Körperpflege, besonders im  Intimbereich, ein zusätzliches Schamgefühl entstehen, so Piotr Sobanski. Der Kardiologe und Palliativmediziner erinnert sich an einen Transmann, der nach einer Brustamputation von sichtbaren Narben gezeichnet war. «Der Patient schämte sich, wenn ihn das Pflegepersonal wusch.»

Des Weiteren werde es etwa für schwule und lesbische Betreuungsbedürftige schwierig, wenn sie ihre sexuelle Orientierung nicht vollständig akzeptierten. «Für Menschen, die nicht geoutet sind und ihre Liebesbeziehungen nie offen lebten, kann bereits die harmlose Frage nach einem Ehemann oder der Ehefrau eine Überforderung darstellen», erklärt der Facharzt. Gerade bei Betagten, die in einer weniger toleranten Gesellschaft aufwuchsen,  sei dies immer wieder der Fall. Zudem kommt es auch vor, dass Menschen ihre gleichgeschlechtliche Orientierung zwar offen lebten, diese aber wieder zu verstecken beginnen, wenn sie sich in ihrem Betreuungsumfeld nicht wohl fühlen. Für den Arzt steht deshalb fest, dass das Pflegepersonal für solche Themen sensibilisiert werden muss. In Grossbritannien zum Beispiel sei man diesbezüglich schon sehr weit. «Dort existieren erste Projekte, die den Mitarbeitenden im Gesundheitsdienst LGBTI-spezifische Fachkenntnisse vermitteln.

Verwandte versus Vertraute

Eine weitere Schwierigkeit kann sich in jenen Fällen ergeben, in denen die biologischen Familien der Pflegebedürftigen deren sexuelle Orientierung ablehnen, und in der Folge auch deren Freundes- und Bekanntenkreise zurückweisen. «LGBTI-Menschen haben oft eine sogenannte Wahlfamilie», sagt Piotr. «Wenn diese Beziehungen weder gut dokumentiert noch in einer Patientenverfügung formell geregelt sind, dann kann sich die biologische Familie bisweilen sogar gegen engste Freunde und Vertraute des Patienten oder der Patientin durchsetzen.» Laut dem 49-Jährigen treten solche Probleme insbesondere dann auf, wenn Menschen an den Folgen von AIDS sterben. «Ich habe schon mehrfach beobachtet, wie die Eltern des Sterbenden ihre Wut und Verlustschmerzen auf den Partner ihres Sohnes übertrugen», sagt er.

Was die Schweiz angeht, so stellt Piotr Sobanski der palliativen Betreuung von LGBTI-Personen insgesamt gute Noten aus. «Bei uns ist man der Thematik gegenüber relativ offen», sagt er. «Die Situation ist bereits sehr viel besser als an anderen Orten dieser Welt.»

Text: Markus Stehle

 

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