Curdin Orlik im Interview 21.12.23
«Ich spürte auf der Bühne diese überwältigende Wertschätzung»

Schwinger Curdin Orlik spricht im Interview mit network unter anderem über seine Emotionen an der network-Preisvergabe, sein Coming-out und die nervige Frage nach dem ersten schwulen Fussballer.
Curdin, während der Preisvergabe in Bern musstest du für ein paar Sekunden mit den Tränen kämpfen und dich kurz sammeln. Was ging dir da durch den Kopf?
In diesem Moment kam einfach sehr viel wieder hoch. Schon zuvor bei der Rede von Frank Preuss. Es waren darunter auch Erinnerungen an schmerzhafte Erlebnisse, denn mein Coming-out war nicht ganz einfach. Gleichzeitig spürte ich auf der Bühne diese überwältigende Wertschätzung und die Dankbarkeit des Publikums. Das war schon sehr emotional.
Und dabei sind Schwinger doch sonst immer so stoisch und cool, oder?
Nein, das ist ein Klischee, das überhaupt nicht zutrifft. Gerade bei Grossanlässen sieht man ab und zu mal ein Tränchen fliessen.
Abgesehen von der network-Preisverleihung: Was waren deine persönlichen Highlights der Euro Games?
Es waren sehr schöne Tage. Obwohl ich in der Funktion eines Botschafters nicht so Stress hatte, war es doch eine intensive Zeit, weil sehr viele Eindrücke auf einen einprasselten. Ein Höhepunkt war bestimmt die Eröffnungsfeier auf dem Bundesplatz, wo ich unvorbereitet ein Interview auf Englisch geben musste! Und natürlich die Pride. Es war erst meine zweite; vor meinem Coming-out war ich einmal an der Zürich Pride.
Kanntest du network vor deiner Nominierung überhaupt?
Den Verein kannte ich schon, auch das von network ins Leben gerufene Swiss LGBTI-Label war mir ein Begriff. Vom network-Preis hörte ich allerdings zum ersten Mal. Jetzt, da ich den Verein und einige seiner Mitglieder näher kennenlernen durfte, könnte ich mir durchaus vorstellen, nach meiner sportlichen Karriere einmal Networker zu werden.
Warst du überrascht, als man dich schliesslich über deinen Sieg informiert hat?
Erfreut, dankbar und überrascht. Aber wie ich schon bei meiner Rede in Bern betont habe: Ich finde, es gäbe noch viele andere Menschen und Organisationen, die für ihr Engagement diesen Preis auch verdient gehabt hätten.
Aber es ist halt schon ein Coming-out von grosser Bedeutung! Seither haben sich leider kaum mehr Spitzensportler:innen in der Schweiz geoutet – enttäuscht dich das?
Das ist sicher etwas schade, ich habe aber auch grosses Verständnis dafür, wenn jemand sich diesen Schritt nicht zutraut. Gerade, wenn man seit jeher ein Doppelleben führt, ist es ganz schwierig. Ausserdem gibt es noch die Angst vor den Reaktionen der Fans und der Kollegen.
Alle warten ja immer noch auf den ersten schwulen Fussball-Profi der Schweiz.
Mich nervt diese Frage nach den Fussballern langsam …
Wieso?
Weil die Medien das so aufbauschen und dadurch einen immensen Druck erzeugen. Das ist abschreckend für jemanden, der sich ein Coming-out überlegt.
Dein Coming-out lief aber super, diese Botschaft müsste man doch jetzt ganz laut in die Sportwelt hinausrufen, oder nicht?
Naja, es war nicht alles rosig, ich musste auch meinen Preis zahlen. Es gab homophobe Sprayereien am Bahnhof in Rubigen, Beschimpfungen im Internet. Ein öffentliches Coming-out ist ein langer Prozess, der viel Kraft kostet und den man gut vorbereiten muss. Dank meinem Umfeld und der Hilfe von Fachpersonen bin ich heute glücklich mit meiner Situation.
Hat sich dein sportlicher Alltag verändert?
Die Stimmung unter den Kollegen ist eher noch lockerer geworden. Die anderen Schwinger machen mal einen witzigen Spruch darüber, was mir zeigt, dass niemand ein Problem mit meiner sexuellen Orientierung hat. Sie sind sehr offen und interessiert.
Wofür interessieren sie sich denn?
Zum Beispiel für Dinge, die das Liebesleben betreffen. Das möchte ich jetzt aber eher nicht weiter ausführen (lacht).
Alles klar, dann sprechen wir nun lieber darüber, was im und nicht um das Sägemehl geschieht: Wie zufrieden bist du mit der vergangenen Schwingsaison?
Meine Leistung war sehr konstant. Ich bin an jedem Schwingfest in die Kränze gekommen, insgesamt sieben Mal. Der Saison-Abschluss am Unspunnen ist mir allerdings gar nicht geglückt, dort hatte ich gleich den ersten Gang vermasselt. Noch schmerzhafter war das Bündner Kantonale Mitte Juni: Ich hatte mir einen Sprunggelenkbruch zugezogen und war anschliessend fünf Wochen lang weg vom Fenster. Zum Glück war es ein sauberer Bruch, der gut verheilt ist.
Dein Bruder Armon hat in letzter Zeit mit guten Resultaten für Schlagzeilen gesorgt. Nervt dich der Vergleich mit ihm?
Nicht mehr. Wir haben mittlerweile akzeptiert, dass diese Gegenüberstellung einfach automatisch gemacht wird. Wir können damit umgehen und fiebern auch immer für den anderen mit. Wie zum Beispiel beim Unspunnenfest, wo es ihm fast zum Sieg gereicht hätte. Er hatte wirklich eine starke Saison.
Was sind deine sportlichen Ziele für die Zukunft?
Der Höhepunkt der nächsten Saison ist das Eidgenössische Jubiläumsschwingfest in Appenzell. Aber das ganz grosse Ziel, das momentan über allem steht, ist natürlich das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2025 im Glarnerland. Generell werde ich wieder bei jedem Schwingfest den Anspruch an mich haben, ganz vorne dabei zu sein.
Jetzt kommt noch eine Frage, die direkt aus einem Klatschheftchen stammen könnte: Curdin, gibt es zurzeit einen Mann in deinem Leben?
Das ist mir jetzt zu privat. (lacht)
Kein Problem. Aber bitte konsequent bleiben – nicht, dass wir in ein paar Wochen die Antwort auf diese Frage im Blick lesen!
Bestimmt nicht, den Blick mag ich eh nicht besonders.
In der Kommentarspalte vom Blick waren vermutlich die Beschimpfungen zu lesen, die du vorhin angesprochen hast.
Genau. Ich hatte mir die Kommentare zu meinem Coming-out zunächst gar nicht angeschaut, um mich selbst zu schützen. Einige Zeit später habe ich es dann doch gelesen. Und ein paar Dinge davon haben trotz dieser zeitlichen Distanz noch weh getan.
Aber im Grossen und Ganzen bereust du dein Coming-out nicht.
Nein, rückblickend ist es das Beste, was ich tun konnte.
Interview: Silvan Hess