Rassismus 7.7.20
«Ich vereinige viele Minderheiten in mir»

Schwarz, schwul, blind und Flüchtling: Der gebürtige Kameruner Roine Kouyo Ouamba ist Interessent der Regionalgruppe Genf und sprach mit uns über seine ersten Network-Eindrücke, Rassismus und die «Black Lives Matter»-Bewegung.
Der Kameruner Roine Kouyo Ouamba ist 27 Jahre alt und vor zwei Jahren in die Schweiz geflüchtet. Der studierte Unternehmenskommunikator ist schwul, schwarz und blind. In seinem Heimatland wurde er aufgrund seiner sexuellen Orientierung und seinem Engagement für die Community verfolgt. Bei Network hat er den Status eines Interessenten und wartet auf die Aufnahme in die Regionalgruppe Genf.
Mit uns sprach der im Kultursektor tätige Roine über seine Motivation, Mitglied von Network zu werden, über seine Erfahrungen mit Rassismus und die «Black Lives Matter»-Bewegung.
Roine, welche Eindrücke hast du bislang von Network gewonnen?
Mir ist es wichtig, dass ich auch an meinem neuen Wohnort ein Netzwerk habe, so wie ich das in Kamerun hatte. Network ist ein professionelles und diverses Netzwerk, das passt mir sehr.
Gab es in Kamerun denn auch so eine Vereinigung wie Network?
Homosexualität ist in Kamerun verboten. Alle Netzwerke sind darum absolut privater Natur und man trifft sich in geschlossenen Kreisen, um sich zu schützen. Aber ja, natürlich: Homosexuelle sind auch in Kamerun miteinander vernetzt. Hier wie da zählt, ein berufliches und intellektuelles Netzwerk zu haben hilft internationalen Führungskräften dabei, sich sicher und wohl zu fühlen. Das schöne hier ist, dass sich Network auch politisch engagiert. Unter den Mitgliedern finden sich nicht nur Wirtschaftsbosse, sondern auch Politiker.
Du bist blind, schwarz und schwul – in der Schweiz eine Minderheit in mehrfacher Hinsicht. Ist die Schweiz ein gutes Land für Angehörige von Minderheiten?
Und ich bin Flüchtling. Ja, ich vereine mehrere Minderheiten in mir. Grundsätzlich ist das Leben als Angehöriger einer oder mehreren Minderheiten nirgendwo besonders angenehm und es braucht einen zünftigen Effort, bis man seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat. Selbst wenn es Gesetze gibt, die einem schützen…
Auch innerhalb von Network gibt es kaum nicht-weisse Männer. Wie erklärst du dir das?
Das weiss ich nicht. Vielleicht müsste man sich die Frage umgekehrt stellen. Warum gibt es keine Schwarzen, die sich für Network interessieren?
Sag du es mir…
Wirklich, ich weiss es nicht. Diesbezüglich kann ich nur für mich und nicht für die gesamte Minderheit der schwulen, schwarzen Männer in der Schweiz sprechen: Ich interessiere mich für Network, weil mich Etienne Francey darauf angesprochen hat. Dabei machte ich mir keinerlei Gedanken darüber, ob es auch andere Schwarze bei Network gibt. Für mich ist das nicht so wichtig. Wie überall findet man auch bei Network verschiedene Menschen mit verschiedenen Mentalitäten und Moralitäten. Hier in der Regionalgruppe Genf habe ich mich noch nie diskriminiert gefühlt. Ganz im Gegenteil: Ich wurde überall herzlich willkommen geheissen.
Die Bewegung «Black Lives Matter» schlägt zurzeit auch ausserhalb der USA grosse Wellen. Wie erklärst du dir das?
BLM betrifft mich persönlich. Deine Frage ist schwierig zu beantworten. Ich finde, was mit George Floyd passiert ist, ist unentschuldbar. Polizeigewalt gibt es aber nicht erst seit kurzem und Rassismus ist kein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Zwar gibt es heute Gesetze, die Menschen vor Rassismus schützen, doch Rassismus ist eine individuelle Angelegenheit. Auch wenn jetzt ein Aufschrei durch die Welt geht, Opfer von Rassismus wird es auch später noch und wieder geben. Auch in Afrika. Schau: Mein eigenes Land hat mich dazu gezwungen, es fluchtartig verlassen zu müssen. Und das nur, weil ich homosexuell bin. Auch die ganze Sklaverei wäre ohne die Zusammenarbeit der afrikanischen Chiefs und Könige mit den Weissen nicht möglich gewesen. Die afrikanischen Führer haben ihresgleichen einfach verkauft. Stell dir das mal vor! Rassismus ist ein komplexes Problem.
Machtest du in der Schweiz auch schon rassistische Erfahrungen?
Nein. Höchstens in seinen subtilen Formen. Auch wurden mir schon deplatzierte oder leicht verstörende Fragen gestellt.
Wie meinst du das?
Als beispielsweise mein Asylgesuch bewilligt worden war, sagte mir die Sozialarbeiterin, dass es für mich als blinden, schwarzen Mann mit Flüchtlingsstatus schwierig werden wird, in Genf eine Wohnung zu finden. Dies aus dem Mund einer Fachkraft zu hören, hat mich etwas verstört. Heute bin ich glücklicherweise selbst in der Position, Minderheiten Hoffnung zu geben.
Was sind andere deplatzierte Fragen, die dir gestellt wurden?
Die Frage zum Beispiel, warum ich in die Schweiz geflüchtet bin und nicht irgendwo anders hin. Oder wie es möglich ist, gleichzeitig schwarz, blind und schwul zu sein. Ich weiss, oft steckt hinter diesen Fragen reine Neugierde und sind nicht böse gemeint. Und das ist es ja schliesslich, was zählt: die Absicht des Fragenstellers.
Text: Michel Bossart