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Thomas Huwiler im Interview 6.3.25

«Mein erstes Mal Aufgeben war mein Coming-out»

Thomas Huwiler
Die Gedanken verschwinden, der Jet d’Eau bleibt: Thomas Huwiler läuft durch Genf (Bild: zVg)

Der 35-jährige Genfer Top-Triathlet Thomas Huwiler spricht im Interview unter anderem über Sport, Politik, seine Arbeit als Deutschlehrer – und sein spätes Coming-out.

Thomas, du hast gerade ein Trainingslager in Südfrankreich hinter dir. Was stand auf dem Programm?
Eine Woche lang täglich 150 Kilometer Velofahren zusammen mit einer Radgruppe aus Genf. Wir haben dafür Hyères gewählt, weil es dort gebirgig ist, wenig Verkehr herrscht und das Wetter besser ist als zuhause.

Du magst ja solche Strecken mit grossen Höhenunterschieden.
Ich habe auch die perfekten Voraussetzungen dafür: Ich bin klein und leicht. (lacht)

Fokussieren sich Triathlet:innen beim Training auf ihre schwächste Disziplin?
Nicht unbedingt. Meine Schwäche ist das Schwimmen – das bedeutet aber nicht, dass dort mein grösstes Potenzial liegt. Ich musste vielmehr feststellen, dass ich selbst mit intensiverem Training kaum Fortschritte machte. Deshalb konzentriere ich mich jetzt darauf, meine Zeiten zu halten. Laufen wiederum kann ich aufgrund einer Fussverletzung nur selten ausserhalb der Wettkämpfe.

Ist es auf deinem Niveau ungewöhnlich, ohne Trainer zu arbeiten?
Sehr sogar. Aber ich will nicht über mein Limit gepusht werden, ich kenne meine Verletzung am besten. Ausserdem habe ich Sportwissenschaft studiert und verstehe selber auch etwas davon. (lacht) Die Sicht von aussen ist mir dennoch wichtig. Ich habe immer wieder Experten in den einzelnen Disziplinen, die mir Tipps geben. Auch das Feedback anderer Athleten aus der Trainingsgruppe ist wertvoll.

Einige Networker kennen dich nicht als Triathleten, sondern als Moderator des Club Dinners vom 23. Juni 2023. Das war für dich bestimmt ein sehr persönlicher Abend, denn mit Ouissem Belgacem war ein schwuler (ehemaliger) Spitzensportler zu Gast.
Ouissem war für mich tatsächlich ein Vorbild, weil er seine Geschichte so eindrucksvoll teilte. Ich habe mich erst mit 26 geoutet und hatte es im Sport besonders als Jugendlicher schwer. Hier sind die Jungs unter sich: Physische und psychische Gewalt wird eher toleriert, die Trainer reagieren nicht auf homophobe Sprache. Und alle wollten immer zeigen, wie männlich sie sind – und wie stark sie sich vom anderen Geschlecht angezogen fühlen …

Du hast dann einfach mitgemacht?
Ich hatte sogar Freundinnen und musste für meine Kumpels immer Ausreden erfinden, warum die Beziehung wieder nicht funktioniert hat. Sexualität war für mich ein soziales Konstrukt, das veränderbar ist. Oder «trainierbar» wie ein Sport. Das habe ich dann irgendwann aufgegeben. Es war das erste Mal, dass ich aufgegeben habe – ein Athlet darf das ja eigentlich nicht. Ich musste damals verletzungsbedingt ein Jahr auf Sport verzichten und nutzte diese erzwungene Pause, um mich zu öffnen und endlich zu meiner Sexualität zu stehen.

Macht es dich traurig, dass dieser Punkt so spät in deinem Leben kam?
Ja, weil ich dadurch vieles verpasst habe: das Entdecken meiner Sexualität, der erste Kuss, all diese starken Emotionen der Jugend. Aber auf wen sollte ich böse sein? Vielleicht auf die Gesellschaft.

Was wäre die Lösung? Mehr schwule Vorbilder im Sport?
Das ist ein Aspekt, ja. Zudem sollten wir den Frauensport fördern. So bekämpfen wir das Klischee, dass gute sportliche Leistung immer mit Männlichkeit einhergeht. Ganz wichtig ist es, die Trainer zu sensibilisieren. Es ist ein enormer Unterschied, ob ein Trainer auf Homophobie in der Gruppe reagiert oder nicht.

Heute bist du umso stärker präsent in der LGBTI-Community; du engagierst dich zum Beispiel für die Pride in Genf.
Ich möchte die queere Gemeinschaft stärken. Gleichzeitig ist es ein Weg für mich, aktiv und selbstbewusster zu werden. Wenn ich für andere zum Vorbild werde, hilft mir das, mich selbst in meiner neuen Rolle noch besser zu akzeptieren.

Du bist auch Co-Direktor des queeren Filmfestivals «Everybody’s Perfect». Weshalb liegt dir diese Aufgabe am Herzen?
Früher tauchten Schwule im Film – wenn überhaupt – nur als Witzfiguren auf. Dabei sind Vorbilder auch hier so wichtig, denn Jugendliche brauchen Figuren, mit denen sie sich identifizieren können. Für mich war etwa das französische Drama «120 Battements Par Minute» prägend. Als Co-Direktor des Festivals gebe ich nur die grobe Richtung vor; die organisatorische Arbeit übernehmen andere.

Thomas Huwiler
v. l.n. r. : Diamanda Callas, Sylvie Cachin und Thomas Huwiler (Bild: ©Everybody’s Perfect, Camilo Agudelo)

Dein Beruf neben dem Triathlon ist Lehrer.
Genau, ich unterrichte Sport und Deutsch am Gymnasium und an der Sekundarschule mit einem Pensum von 60 Prozent.

Das erklärt, weshalb du perfekt Hochdeutsch sprichst. Ist das Schulfach beliebt?
Eher weniger, aber ich versuche alles, damit es mehr Spass macht: Austausche mit Schulen aus St. Gallen, Skilager mit Klassen aus Basel. Doch manchmal fragen mich die Schüler:innen trotzdem, welchen Sinn es hat, Deutsch zu lernen.

Was ist der Sinn, Monsieur Huwiler?
Du verstehst dadurch besser, wie Sprachen funktionieren, was auch hilft, die eigene Sprache besser zu verstehen. Und die Deutschschweiz ist nicht so weit weg, wie viele meinen.

Hast du Verwandte, die Deutsch sprechen? «Huwiler» klingt ja sehr deutschschweizerisch.
Mein Urgrossvater stammt aus Luzern. Er kam in ein Westschweizer Waisenhaus, weil sich seine Eltern nicht um ihn kümmern konnten. Aber nicht meine Familiengeschichte, sondern das Training mit Deutschschweizern hat mich motiviert, die Sprache zu lernen: Ich wollte mitreden können.

Du hast noch weitere Ambitionen: Du warst bei den letzten Nationalratswahlen Kandidat der Grünen. War das eine einmalige Sache?
Das war vor zwei Jahren, als ich mich – entgegen dem Rat vieler Ärzte – für eine Operation entschieden habe, die ich riskieren musste, um nochmals ein Level aufsteigen zu können. Damals dachte ich, dass ich vielleicht nie wieder Sport machen könnte und suchte nach neuen Aufgaben. Zurzeit kandidiere ich jedoch wieder, diesmal für den Munzipalrat in Carouge. Der Umweltschutz spielt für mich politisch wie persönlich eine grosse Rolle. Mein bevorzugtes Transportmittel ist das Velo – ich bin damit sogar mal bis nach Russland gefahren! Ich respektiere die Natur, weil es der Ort ist, wo ich mich geborgen fühle. Die Verbundenheit mit ihr ist ein Grund, warum ich den Triathlon so liebe.

Du wurdest 2021 Schweizer Meister im Triathlon, du hast schon Spitzenplatzierungen beim Ironman belegt: Was sind deine nächsten sportlichen Ziele?
Die Heilung der OP verlief langsam, es ist bis heute nicht perfekt. Aber wenn mein Körper mitmacht, bin ich bereit, nochmals voll auf den Sport zu setzen und ans Limit zu gehen.

Thomas Huwiler
Thomas beim Jubeln (Bild: zVg)

Was denkst du eigentlich während eines Ironmans?
Diese Frage habe ich mir selbst schon oft gestellt und nie eine Antwort gefunden. Vor dem Wettkampf gehen mir tausend Gedanken durch den Kopf, die mit dem Start verschwinden. Ein Blackout, das elf bis zwölf Stunden anhält. Es hat etwas Meditatives. Es fühlt sich so an, als wären Körper und Geist verbunden, als wäre ich voll und ganz im Hier und Jetzt. Das tut gut.

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