Interview 5.5.17
«Network hat mir stets vertraut – das ist sehr schön!»

Mit Angelo Caltagirone hat Network ein neues Ehrenmitglied. Der 57-Jährige spricht im Interview über sein langjähriges Engagement und einen Moment, der seine Einstellung nachhaltig beeinflusst hat.
Angelo, an der GV 2017 wurdest du zum Network-Ehrenmitglied ernannt – herzliche Gratulation! Was bedeutet dir diese Auszeichnung?
Ich fühle mich geehrt und finde es sehr schön! Die Auszeichnung kam aus heiterem Himmel, ich hätte nie erwartet, diesen Titel zu erhalten. Klar, ich habe einiges geleistet, ich empfand das aber nie als etwas Aussergewöhnliches – der erweiterte Vorstand sieht das offenbar anders (lacht).
Du wurdest nicht nur wegen deines Einsatzes für Network ausgezeichnet, sondern besonders auch für dein internationales Engagement. Unter anderem hast du den Verein EGMA (European Gay and Lesbian Managers Association) mitbegründet. Wie kam es dazu?
Es bestanden Pläne, EGMA als Verein zu gründen. Die entsprechenden Gespräche sollten im Rahmen der Generalversammlung des Völklinger Kreises geführt werden. Der damalige Basler Regionalleiter fragte mich, ob ich als Vertreter von Network an den Verhandlungen teilnehmen könnte. Das tat ich, und wenig später – im April 2005 – wurde EGMA dann offiziell gegründet, in Wien. Ich wurde als Vize-Präsident gewählt, zwei Jahre später übernahm ich das Präsidentenamt, welches ich bis 2011 innehatte. Es war eine grossartige Zeit. Ich vertrat nicht nur Network, sondern auch die Interessen anderer LGBT-Gruppierungen, sodass ich viel herumreiste, um die verschiedensten Leute zu treffen und kennen zu lernen. Dadurch entstanden sehr viele gute Kontakte, die auch für Network wertvoll waren und sind. EGMA liegt mir noch immer am Herzen – als Ehrenpräsident bin ich dort nach wie vor involviert.
Du bist Network vor 17 Jahren beigetreten. Wie hast du den Verein damals wahrgenommen?
In der Regionalgruppe Basel waren wir etwa 20 bis 30 Personen, landesweit verfügte der Verein vielleicht über 200 Mitglieder. Ich fand Network sehr spannend. Es war eine tolle Gelegenheit, um schwule Männer ausserhalb der Szene kennenzulernen. Männer, mit denen man über alles Mögliche reden konnte. Ich wurde mit Themen konfrontiert, mit denen ich nicht wirklich vertraut gewesen war, wodurch ich sehr viel lernte. Ausserdem bestand schon damals ein reger Austausch zwischen den Generationen. Durch Network hat sich mein Freundeskreis erweitert, das ist toll.
Wie siehst du den Verein heute?
Er ist grösser geworden, weshalb man sich untereinander vielleicht ein bisschen weniger kennt. Im Grundsatz und im Geiste ist Network aber gleich geblieben, nach wie vor werden diverse Anlässe durchgeführt und man unternimmt Dinge gemeinsam. Einiges getan hat sich im Hinblick auf unsere Bekanntheit. Besonders seit unserem Engagement im Zusammenhang mit dem Partnerschaftsgesetz wird Network stärker wahrgenommen, sowohl in der Community als auch in der Politik. Man sieht uns nicht mehr als «einen Haufen Snobs», sondern als einen Verein, der Gutes tut. Das ist super!
In seiner Laudatio hat dich Daniel Seiler dahingehend beschrieben, dass du dich vom Party Animal zum LGBT-Aktivisten gewandelt hättest. Woher kam – und kommt – dein Antrieb, dich einzusetzen?
Ich kann mich genau an einen Moment im Jahr 2000 erinnern, der mich sehr prägte: Ich sah den Film «Stonewall» aus den Neunzigerjahren. Der Film hat mich umgehauen und meine Einstellung verändert. Zuvor hatte ich nie wirklich gewusst, was in New York tatsächlich passiert war. Nun sah ich, dass es vor allem Dragqueens und Lesben waren, die in New York die Bewegung gestartet und sich für ihre Rechte eingesetzt hatten. Ich war damals nicht wirklich politisch eingestellt und realisierte, dass ein Schwuler wie ich mehr oder weniger inkognito und unbehelligt leben konnte, wenn er wollte. Für jene aber, die ihr «Anderssein» nicht verstecken wollten oder konnten, war es unheimlich wichtig, politisch zu sein und sich einzusetzen. Der Film hat mir auch bewusst gemacht, dass wir heute so leben dürfen, weil andere vor uns für unsere Rechte gekämpft hatten. Ich wollte also etwas von dem zurückgeben, was ich erhalten habe. Network bot mir die Möglichkeit, diese Gedanken in Taten umzusetzen, wofür ich sehr dankbar bin. Als besonders schön empfinde ich auch, dass die Networker stets Vertrauen in mich hatten und mich in die Welt hinausschickten.
Du bist auch Präsident von EDGE (Excellence and Diversity by GLBT Executives), dem italienischen Pendant zu Network, sozusagen. Diesen Verband hast du ebenfalls mitgegründet. Wie geht es der Organisation heute?
Es geht ihr gut! Der Ruf von EDGE ist grösser, als wir tatsächlich sind (lacht). Zurzeit zählen wir rund 40 Mitglieder, von der Community, der Politik und den Unternehmen werden wir aber sehr wohl wahrgenommen. Dies aufgrund gezielter Massnahmen, dank derer wir ins Gespräch kamen. Unser Vorteil liegt darin, dass wir ein Nischenverein sind, der den anderen italienischen LGBT-Verbänden nichts wegnimmt. Es fühlt sich niemand bedroht durch uns. Im Gegenteil, wir haben es sogar geschafft, die wichtigsten Gruppierungen an einen Tisch zu bringen, sodass man gemeinsam über Themen wie das Partnerschaftsgesetz oder nun die «Ehe für alle» diskutieren kann. Wir verfügen über einige tolle Leute im Verein, die sehr viel leisten. Und wir können stolz darauf sein, unseren Beitrag zum italienischen Partnerschaftsgesetz geleistet zu haben.
Du hast soeben das Partnerschaftsgesetz erwähnt, das vor rund einem Jahr in Kraft trat. Zudem sind in den letzten Monaten immer wieder LGBT-freundliche Gerichtsentscheide ergangen – sind das Zeichen für einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel in Italien?
Ich denke schon. Abgesehen von den Populisten und erzkatholischen Heuchlern, die noch immer zu viel zu sagen haben, wandelt sich die Gesellschaft. Das Partnerschaftsgesetz war unglaublich wichtig. Es ist zwar nicht perfekt und wurde schlussendlich mit Kompromissen aufgenommen – so strich man kurz vor dem Entscheid im Senat die Stiefkindadoption. Aber dennoch, es gab so viele Paare, die darauf warteten, sich nach jahre- bis jahrzehntelangem Zusammensein endlich rechtlich absichern zu können, gerade auch im Hinblick auf den Tod des Partners oder der Partnerin. Ausserdem sehen die Leute nun seit einem Jahr Fotos und Videos von glücklichen Paaren, die sich eintragen lassen. Das Bild von «verheirateten» homosexuellen Paaren wird in Italien also mehr und mehr zur Normalität. Und die Leute sehen, dass die Welt nicht untergeht deswegen (lacht)!
Interview: Markus Stehle