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«Network Soirée» 2.12.16

Umsetzung MEI: «Die Zeit wird knapp»

François, du leitest die Abteilung «European Affairs» beim Schweizer Wirtschaftsdachverband economiesuisse. Welche Aufgaben umfasst dein Job?
Ich vertrete die Schweizer Wirtschaft und den Schweizerischen Arbeitgeberverband gegenüber dem europäischen Wirtschafts- und Arbeitgeberverband «BusinessEurope» sowie gegenüber Vertretern der Europäischen Union. Dabei arbeite ich eng mit mehreren Partnerorganisationen zusammen, etwa mit der Schweizer Mission bei der Europäischen Union. Unser gemeinsames Interesse ist eine gut funktionierende Schweizer Wirtschaft. Wir wollen den freien Zugang zum EU-Markt aufrechterhalten und versuchen, die Europapolitik entsprechend mitzugestalten.

Seit Längerem wird das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz von der Frage bestimmt, wie die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) umgesetzt werden kann, ohne dass die Personenfreizügigkeit verletzt wird. Auf welche Art und Weise kannst du diese Diskussion beeinflussen?
Ich wirke als Vermittler. Es geht vor allem darum, die Situation der Schweiz aus Sicht der Wirtschaft zu erklären. Vor kurzem fand zum Beispiel in Brüssel ein Treffen zwischen Vertretern der EU-Institutionen und einer Vorstandsdelegation von economiesuisse statt. Wir konnten dabei unsere Sichtweise darlegen und aufzeigen, warum die Schweiz diese und jene Position vertritt. Nicht alle EU-Funktionäre sind sich im Klaren darüber, wie intensiv die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind und wie unser Land politisch und wirtschaftlich funktioniert. In diesem Sinne wirken unsere Gespräche ergänzend zu den offiziellen Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz.

An der «Network Soirée» der Regionalgruppe Basel gab Networker François Baur, Head of European Affairs bei economiesuisse, spannende Einblicke in das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU.

François, wie oft bist du in Brüssel, wie oft in der Heimat?
Dienstag bis Donnerstag arbeite ich in Brüssel, am Montag und Freitag bin ich am Hauptsitz in Zürich. Der Kontakt zur Schweiz ist sehr wichtig, denn die fachlichen Inputs erhalte ich jeweils von unseren Experten. Diese sind in den verschiedensten Bereichen tätig, sie beschäftigen sich mit Themen wie Energie, Umwelt, Binnenmarkt oder Migration. Bei ihnen hole ich sozusagen die Informationen ab und vertrete diese dann in Brüssel.

Wie schätzt du den Einfluss der economiesuisse ein? Einerseits in Bezug auf Europa, andererseits in der Schweizer Politik?
Wir vertreten einen Grossteil der verschiedenen Wirtschaftsbereiche und Branchen, alle hiesigen Handelskammern und Fachverbände sind bei uns Mitglied. Dabei stehen wir nicht nur für die Interessen der grossen Unternehmen ein, sondern auch für jene der kleinen und mittleren. In Wirtschaftsfragen sind wir sehr glaubwürdig, dementsprechend können wir den nationalen Diskurs durchaus mitprägen. Wir geben jeweils unsere Meinung zum Thema ab, legen dar, was «wirtschaftsfreundlich» unserer Ansicht nach bedeutet und hoffen dann, dass das Parlament zuhört. Was die europäische Ebene angeht, so ist man sich bewusst, dass economiesuisse als Lobbyorganisation eine Rolle spielt in der Schweizer Politik. Entsprechend können wir uns in Europa Gehör verschaffen.

Die Network-Soirée stand unter dem Titel «It’s complicated» – was sind derzeit die kompliziertesten Punkte im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU?
Viele von ihnen ergeben sich aus dem Überthema der Personenfreizügigkeit, dem grössten Stolperstein in der Beziehung zwischen der EU und der Schweiz. Ein Beispiel: Wegen der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) können wir derzeit das Kroatienprotokoll nicht ratifizieren. Möglich wird dies erst, wenn die Initiative auf eine Art und Weise umgesetzt wurde, die der Personenfreizügigkeit nicht widerspricht. Gleichzeitig machte die EU die Ratifizierung des Protokolls zur Bedingung dafür, dass die Schweiz weiterhin am Studierendenaustauschprogramm Erasmus teilnehmen sowie bei «Horizon 2020», dem grössten Forschungsprogramm der Welt, mitmachen kann. Es wäre verheerend, wenn die Schweizer Wissenschaft längerfristig keinen Zugang zu den europäischen Forschungsprojekten mehr hätte – wobei weniger das Geld als der wissenschaftliche Austausch von Bedeutung ist. Brexit hat die Lage zusätzlich erschwert. Manche EU-Vertreter finden, man sollte an der Schweiz ein Exempel statuieren, um den Engländern zu demonstrieren, was auf sie zukommt. Im Sinne von: Die Personenfreizügigkeit bleibt unantastbar, darüber wird nicht diskutiert.

Was könnt ihr machen, um die Lage zu entspannen?
Wir versuchen aufzuzeigen, dass sich die EU letztendlich ins eigene Fleisch schneidet, wenn sie gegenüber der Schweiz einen allzu rigiden Kurs fährt. Tatsache ist, dass die Schweiz die drittwichtigste Handelspartnerin der EU ist. Nur wenige Länder pflegen solch intensive Wirtschaftsbeziehungen zur Europäischen Union wie wir.

Der Nationalrat hat zur Umsetzung der MEI den sogenannten «Inländervorrang light» vorgeschlagen. Die EU-Juristen kritisierten, gewisse Teile dieses Vorschlags würden die Personenfreizügigkeit verletzen. Nun muss noch der Ständerat über die Vorlage diskutieren. Eine Einigung zwischen der EU und der Schweiz scheint schwierig?
Es stimmt, dass gewisse Punkte des nationalrätlichen Konzepts gegen das Abkommen zur Personenfreizügigkeit verstossen. Insgesamt ist die Lösungsvariante aber nicht schlecht. Ganz allgemein gesagt geht es darum, inländische Arbeitssuchende – unabhängig von ihrer Nationalität – bei der Jobsuche zu privilegieren, ohne dabei ausländische Arbeitskräfte zu diskriminieren. Die EU hat sich offiziell noch nicht wirklich dazu geäussert. Informell sieht es aber danach aus, dass die Chancen auf eine Anerkennung des Vorschlags nicht schlecht stehen. Zuerst müssen aber sowieso noch die nationalen Fallstricke beseitigt werden.

Die da wären?
Die staatspolitische Kommission des Ständerats und der Nationalrat haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der «Inländervorrang light» genau ausgestaltet werden soll. Wenn das Ständeratsplenum dem Vorschlag seiner Kommission folgt, dann kommt es zu einem Differenzbereinigungsverfahren zwischen den beiden Räten – da sind viele Diskussionen vorprogrammiert. Das ist insofern problematisch, als das Geschäft noch in der Wintersession, also bis Mitte Dezember, geklärt werden muss. Die Frist zur Umsetzung der MEI läuft bald aus, die Zeit wird knapp. Wir hoffen sehr, dass es zu einer Einigung kommt – und verlangen, dass die Initiative im Rahmen der Personenfreizügigkeit umgesetzt wird. Wir wollen das Thema zumindest vorläufig ad acta legen können.

Noch zur Network-Soirée als solcher – wie hast du den Abend empfunden?
Es nahmen rund 20 Personen an der Veranstaltung teil. Das Publikum war äusserst interessiert und es kam zu intensiven Diskussionen. Zum Beispiel darüber, ob man dem Volkswillen denn wirklich Rechnung trage, wenn die MEI so umgesetzt werde, wie derzeit vorgesehen. Auch zu economiesuisse gab es durchaus kritische Anmerkungen. Diese drehten sich um die Frage, wie die Ziele der Wirtschaft und jene der Gesellschaft auf den gleichen Nenner gebracht werden können. Für mich war der Abend bereichernd, denn ich sah ein weiteres Mal, was die Leute beschäftigt. Aus diesem Grund sind solche Anlässe sehr willkommen für uns – wir erhalten wertvolles Feedback aus der Gesellschaft, und das nehmen wir ernst.

Text: Markus Stehle

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