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Antirassismusstrafnorm 7.5.20

«Vieles wird sich nicht ändern»

Der Einzige, der Homosexuelle nach dem 1. Juli weiterhin ungestraft diskriminieren darf, ist der Gesetzgeber. Für alle anderen tritt zu diesem Zeitpunkt die Erweiterung des Diskriminierungsartikels auf die sexuelle Orientierung in Kraft. Networker Thomas Geiser erklärt was Sache ist.

Das Schweizer Strafrecht schützt Menschen vor verschiedenen Formen der Diskriminierung: So macht sich strafbar, wer andere aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in der Öffentlichkeit herabsetzt. Das Parlament hat am 14. Dezember 2018 entschieden, die Anti-Rassismus-Strafnorm auf die sexuelle Orientierung zu erweitern. Gegen diese Änderung war das Referendum ergriffen worden. Am 9. Februar wurde die geänderte Strafnorm von der Stimmbevölkerung mit 63,1 Prozent Ja-Stimmen aber deutlich angenommen.

Die Umsetzung der beiden geänderten Artikel im Strafgesetzbuch und im Militärstrafgesetz erfordert weder auf kantonaler noch auf Bundesebene besondere Massnahme, wie der Bundesrat mitteilt. Die Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes tritt am 1. Juli 2020 in Kraft. Das hat der Bundesrat in seiner Sitzung vom 3. April entschieden.

Von Networker Thomas Geiser, emeritierter Professor für Privat- und Handelsrecht an der Universität St. Gallen, beantwortet dazu ein paar Fragen.

Thomas, ab dem 1. Juli ist es verboten, Homosexuelle zu diskriminieren. Dürfen sie ab diesem Datum gleich viel tun und lassen wie ihre heterosexuellen Kolleg*innen. Blut spenden, zum Beispiel?
So schnell geht das leider nicht. Die neue Norm muss erst in Kraft gesetzt werden, dann dürfte es aber für den Blutspendedienst tatsächlich schwierig werden, Homosexuelle von der Blutspende auszuschliessen. Würde der Blutspendedienst dunkelhäutige Menschen vom Blutspenden ausschliessen, gäbe es sofort ein riesiges Geschrei. Das ist aber keine schlimmere Diskriminierung, als wenn schwule Männer von der Blutspende ausgeschlossen werden.

Oder heiraten?
Hier bedarf es zuerst einer Anpassung des Gesetzes. Der Gesetzgeber kann auch nach Annahme des neuen Gesetzes weiter ungestraft diskriminieren. Das unterschiedliche Pensionsalter lässt sich ja auch nicht mit dem Diskriminierungsverbot vereinbaren und ist doch immer noch Realität.

Die «Diskriminierung von Amtes wegen» ist doch auch eine Form der «öffentlichen Herabsetzung». Kann man nun gerichtlich gegen homophobe Gesetzesartikel vorgehen?
Wenn es sich um kantonales Recht handelt, konnte man das jetzt schon mit dem Verfassungsgrundsatz der Rechtsgleichheit. Die neue Bestimmung hat daran nichts geändert. Der Bundesgesetzgeber darf zwar nicht, kann aber ungestraft die Verfassung verletzen. Wir haben kein Gericht, dass Bundesgesetze auf Verfassungsmässigkeit hin überprüfen dürfte. Daran hat sich nichts geändert.  Der Gesetzgeber wird aber sehr viel mehr Mühe haben, politisch diskriminierende Gesetze erlassen oder aufrecht erhalten zu können.

Beleidigungen waren ja schon vorher verboten. Was konkret ändert sich nun am 1. Juli für die Community?
Die Bedeutung dieser Neuerung darf in der Tat nicht überschätzt werden. In vielen Fällen ändert sich gar nichts. Aber immerhin ist nun strafbar, wenn jemand eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung verweigert. Ein Restaurant oder ein Hotel darf folglich nicht Schwulen wegen ihrer sexuellen Orientierung den Zugang verweigern. Bei der Blutspende dürfte das anders sein, weil das Entgegennehmen der Blutspende keine Dienstleistung ist. Das ist vielmehr die Spende des Blutes. Von praktischer Bedeutung dürfte auch sein, dass sich strafbar macht, wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung von Personen mit einer bestimmten sexuellen Orientierung gerichtet sind. Hier dürften gewisse religiöse Kreise in Schwierigkeiten geraten, wenn sie gleichgeschlechtliche Beziehungen – im wörtlichen oder übertragenen Sinne – verteufeln. Es wird sich weisen, wie die Gerichte hier reagieren werden.

Text: Michel Bossart
Foto: Raffi P.N. Falchi

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